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Entgrenzungen des Wahnsinns

  • Herausgeber(in): Professor Dr. Heinz-Peter Schmiede­bach
  • Titel: Entgrenzungen des Wahnsinns
  • Untertitel: Psychopathie und Psychopathologisierungen um 1900
  • Reihe: Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien
  • Bandnummer: 93
  • Verlagsort: Berlin/Boston
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Umfang: X, 306 S.
  • ISBN: 978-3-11-041269-7
  • Beschreibung:

    Der Aufschwung der Psychiatrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging mit zahlreichen Verwerfungen einher. Erstens war festzustellen, dass moderne Strömungen in der Kunst, Auffälligkeiten des Sexualverhaltens sowie andere unangepasste soziale Verhaltensweisen psychiatrisiert wurden. Hier spielte das in den 1890er-Jahren entwickelte Konzept der Psychopathie eine wichtige Rolle wie auch der Querulantenwahn. Viele Psychiater nutzten diese Expansionsbestrebungen, um sich – initiiert durch die Revolution – in politischen Diskursen mit neuen gesellschaftpolitischen Entwürfen zu profilieren. Zweitens sind Begriffs- und Wissenszirkulationen feststellbar. So wurde z.B. der Begriff der Schizophrenie durch einen Transfer in andere Kontexte, u. a. in die Literatur, mit neuen semantischen Codierungen versehen. Umgekehrt wurde der Begriff der Spannung von der Psychiatrie adaptiert und nutzbar gemacht. Auch aus der Sexualwissenschaft kommende Wissensmuster wurden von der Psychiatrie angenommen und integriert. Drittens gab es bei der künstlerischen Avantgarde einen affirmativen Diskurs zum Wahnsinn, der sich nicht zuletzt im Genie-Wahnsinn-Diskurs manifestierte. Die Autorinnen und Autoren erörtern diese sehr unterschiedlichen Phänomene originell und kenntnisreich.

    • Umgang mit Wahnsinn auf institutioneller, konzeptioneller, metaphorischer und praktischer Ebene
    • Praxis und Funktion psychiatrischer Versorgungseinrichtungen
  • Inhalt:
    Inhalt (S. V–VI)
    Vorwort (S. VII–VIII)
    Verzeichnis der Abkürzungen (S. IX)
    Heinz-Peter Schmiedebach
    Entgrenzungsphänomene des Wahnsinns – Einleitung (S. 1–28)
    Thomas Beddies
    „In den Symptomen des Niedergangs, über die sich so viele entrüstet haben, habe ich nichts erblicken können als Krankheitserscheinungen“. Profilierung und Positionierung deutscher Psychiater nach dem Ersten Weltkrieg (S. 29–44)
    Kai Sammet
    Wozu man die Schizophrenie gebrauchen kann: Semantik, Pragmatik, Öffentlichkeit(en) zwischen ca. 1910 und 1930 (S. 45–62)
    Marietta Meier
    Auf der Kippe. Spannungskonzepte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (S. 63–78)
    Thomas Müller
    Rückführung des Irren in die Gesellschaft? Außerklinische Versorgungsformen und Behandlungsorte des Wahnsinns (ca. 1850–1914) (S. 79–94)
    Felicitas Söhner
    Familiäre psychiatrische Versorgung an der Schwelle vom langen 19. Jahrhundert zur Moderne (S. 95–129)
    Julie Clauss/Christian Bonah
    An der Grenze der Nosologie: Die praktische Klassifikation der Psychosen und die Einführung der Diagnose „Schizophrenie“ an der Psychiatrischen Universitätsklinik zu Straßburg, 1912–1962 (S. 131–160)
    Volker Hess/Chantal Marazia
    Inside/Outside. Die Nervenpoliklinik in Berlin und Straßburg, ca. 1880–1930 (S. 161–184)
    Stefan Wulf
    Morphinismus und Kokainismus. Anmerkungen zum Konstrukt der Psychopathie im Hamburger Drogendiskurs der 1920er Jahre (S. 185–207)
    Urs Germann
    Umstrittene Grenzen: „Psychopathische Persönlichkeiten“ zwischen Psychiatrie und Justiz. Zur inter-institutionellen Stabilisierung des Psychopathiekonzepts in der Schweiz vor dem Ersten Weltkrieg (S. 209–224)
    Rupert Gaderer
    J. G. Lehmann-Hohenberg – Wahnsinn, Presse und Politik im deutschen Kaiserreich (S. 225–240)
    Sonja Mählmann/Cornelius Borck
    Der Querulantenwahn – oder wie die Psychiatrie zu ihrem Recht kam (S. 241–258)
    Gabriele Dietze
    „Heller Wahn“. Echoräume zwischen Genie-und-Wahnsinn-Diskursen in Psychiatrie und künstlerischen Avantgarden der Moderne (S. 259–278)
    Rainer Herrn
    Gutachterliche Aushandlungen des Transvestitismus zwischen Psychiatrie und Sexualwissenschaft (S. 279–297)
    Kurzbiografien der Autoren (S. 299–302)
    Personenregister (S. 303–306)